Die STRAZE – Ein Haus gesellschaftlicher Integration

Kurzfassung

Wir, 30 Initiativen mit Akteur*innen aus Ost und West bauen gemeinsam das künftige Soziokulturelle Zentrum STRAZE als Ort für Kultur, Begegnung und Teilhabe. Alle Nutzer*innen verantworten solidarisch den künftigen Betrieb des historischen Gesellschaftshauses, welches wir als Gemeingut verstehen. Nach einer sechsjährigen Aufbauzeit und unter bemerkenswerter Beteiligung der Greifswalder Zivilgesellschaft eröffnen wir die STRAZE als einen Ort für gesellschaftliche Integration im Oktober.

Sie wurden vom Publikum und der Jury zu den 30 Preistragenden des einheitspreises 2020 gewählt. Was bedeutet Ihnen das?

Wir sind glücklich, zu den Preisträger*innen zu gehören. Mit der Eröffnung der STRAZE im Oktober 2020 liegen viele Jahre sehr intensiver Arbeit und Auseinandersetzung hinter uns. Seit Ende 2007 bemühten wir uns um das baufällige Haus. Wir kämpften gegen Abriss, brachten uns in die Stadtplanung ein, organisierten lokale Bürger*innenbeteiligung und konnten Ende 2013 endlich das Haus erwerben. In einer ehrenamtlichen Koordinationsgruppe von 15-20 Personen arbeiteten wir am Aufbau: Finanzierung, unzählige Baueinsätze und Beteiligungsprozesse. Der Preis ist ein Stück Anerkennung für all dies, was zum Teil gegen große Widerstände durchgefochten werden musste. Der Preis zeigt auch: Das was wir machen, ist keine Spinnerei von ein paar Wenigen, sondern hat gesellschaftliche Relevanz.

Wie haben Sie das Thema Ost-West bzw. Solidarität in Ihrem Projekt aufgegriffen?

Unsere Gruppe ist ein bunt gemischter Haufen von Menschen, die im Osten und im Westen groß wurden und solchen, die erst nach der Wende geboren wurden oder nach Deutschland migriert sind.Wir diskutieren viel darüber, wie unsere heutige Demokratie gestaltet sein sollte. Wir wissen um die Diskriminierung, die vielen Menschen aus Ostdeutschland in der Gesellschaft passiert – einige von uns haben persönliche Erfahrungen damit gemacht. In der Projektarbeit vieler am Haus beteiligter Akteure ist außerdem präsent, dass hier die Zivilgesellschaft noch immer ganz anders gestaltet ist als in Westdeutschland. Große Organisationen sind nicht vor Ort, sondern haben Verantwortliche für unsere Region in Berlin oder Hamburg sitzen und auch die kleineren Strukturenvor Ort sind verletzlicher und werden zum Teil durch Abwehrkämpfe gegen rechts geschwächt. Mit der STRAZE war es für uns von Beginn an ein wichtiges Ziel, die Zivilgesellschaft zu stärken.

Was bedeutet das Thema "Deutsche Einheit" bzw. Solidarität im Jahr 2020 für Sie?

Die Coronakrise führt uns vor Augen, wie notwendig Solidarität ist. Gleichzeitig wird deutlich, dass unser Alltag, unsere wirtschaftlichen Zwänge und unsere Denk- und Handlungsweisen, die mehr auf Konkurrenz als Kooperation ausgerichtet sind, solidarisches Handeln erschweren. Besonders sichtbar wird dieser Widerspruch zwischen dem Ruf nach Solidarität und der gesellschaftlichen Realität durch den Blick auf die europäischen Außengrenzen. Solidarität darf nicht an den Grenzen von Nationalstaaten enden. Mit der Beteiligung an der Veranstaltungsreihe „Weltwechsel“, Bannern am Haus oder Redebeiträgen zur Eröffnung haben wir dies deutlich gemacht. Die deutsche Einheit und Grenzöffnungen in Europa zeigen, welche positiven Effekte Grenzöffnungen, die für Menschen gelten, haben. Mit den beiteiligten Initiativen im Haus erproben wir solidarische Organisationsformen. Solidarität ist bei uns nicht nur ein Wort, sondern wird mit seinen Chancen und Herausforderungen im Miteinander erlebbar.

Wo gibt es aus Ihrer Sicht nach wie vor Probleme zwischen Ost und West und in der Gesamtgesellschaft

Wirtschaftliche Benachteiligung in Gehältern, Renten, weniger Anerkennung durch geringere Chancen auf gut bezahlte Jobs, schlechte Sichtbarkeit in der Erzählung der deutschen Geschichte…

Diese Liste an Benachteiligungen könnte weiter geführt werden. Gleichzeitig ist das Demokratieverständnis in Ostdeutschland weiterhin anders als in Westdeutschland. Gesamtgesellschaftlich fehlen Diskussionsräume. Menschen leben in ihren eigenen Blasen weitgehend parallel nebeneinander her. Verstärkt wird dies noch durch digitale soziale Netzwerke. Gesellschaftliche Ausschlüsse aufgrund von Rassismus, sozialer Zugehörigkeit oder Geschlecht verhindern die Teilhabe Vieler.

Wie können Sie dazu beitragen, dem entgegen zu wirken?

Wir haben einen Ort zur Stärkung demokratischen Miteinanders geschaffen. Die STRAZE wird und ist eine Schnittstelle zwischen Menschen verschiedener Hintergründe, ein Ort gesellschaftlicher Begegnung und Integration. Hier sollen Diskussionen stattfinden und Menschen sollen Anknüpfungspunkte und Gleichgesinnte für die eigenen Ideen finden. Wir haben zusammen ein Haus für Menschen und Gruppen aufgebaut, die sich engagieren wollen, die Ungerechtigkeiten – auch global betrachtet – entgegen wirken und Menschen die Möglichkeit geben möchten, an gesellschaftlichen Prozessen teilzuhaben, von denen sie sonst ausgeschlossen sind. Wir wollen hier auch den Raum geben, Organisationsformen, die gängigen gesellschaftlichen Paradigmen widersprechen, auszuprobieren und dabei einen kritischen Blick auf Machtverhältnisse werfen. Mit der STRAZE üben wir uns darin, ein Gemeingut mit einem auf Selbstorganisation und Solidarität basierenden Finanzierungs- und Betreibermodell lebendig werden zu lassen.

Haben Sie schon Pläne für das Preisgeld?

Wir haben noch keine konkreten Pläne für das Preisgeld. Da der Lockdown auch uns finanziell getroffen hat, ist es vielleicht einfach ein sehr willkommener Beitrag zur Refinanzierung des Hauses. Es ermöglicht in der Folge eine Entlastung für alle Gruppen und Menschen, die das Haus nutzen möchten.

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